Dauer und Hüllkurven

Wie wir schon vorher gesehen haben, können wir mit dem sleep-Kommando steuern, wann ein Klang zu spielen anfängt. Bislang konnten wir aber noch nicht die Dauer eines Klangs steuern (außer bei Samples, die wir strecken oder verdichten können).

Um die Dauer von Klängen auf einfache, aber tiefgehende Weise zu beeinflussen, bietet Sonic Pi das Prinzip der ADSR-Hüllkurve 1. (Wir werden später sehen, was ADSR genau bedeutet). Eine Hüllkurve hat zwei nutzbringende Eigenschaften:

Dauer

Die Dauer bestimmt, wie lange ein Klang klingt. Eine erhöhte Dauer bedeutet, dass Du den Klang länger hören kannst. Alle Klänge in Sonic Pi haben eine Hüllkurve, die beeinflusst werden kann, und die gesamte Dauer dieser Hüllkurve bestimmt die Dauer des Klangs. Deshalb kann man über die Kontrolle der Hüllkurve die Dauer des Klangs beeinflussen.

Amplitude

Die ADSR-Hüllkurve kontrolliert nicht nur die Dauer, sondern ermöglicht Dir auch die genaue Kontrolle über die Amplitude eines Klangs. Alle Klänge beginnen und enden mit Stille; dazwischen ist irgendetwas hörbar. Hüllkurven erlauben Dir, die Amplitude der hörbaren Anteile des Klanges zu verschieben, zu verlängern und zu verkürzen. Es ist so, als würdest Du jemanden sagen, wie er die Lautstärke einer Musik lauter und leiser dreht. Du könntest denjenigen z.B. bitten: “Fang bitte mit einer Stille an, dreh dann die Lautstärke langsam bis zum Anschlag hoch, lass es eine Weile so und blende dann schnell runter, bis man nichts mehr hört”. Genau dafür sind in Sonic Pi die Hüllkurven da.

Wie wir vorher schon gesehen haben, bedeutet eine Amplitude von 0 Stille und eine Amplitude von 1 entspricht der normalen Lautstärke.

Release-Zeit

Standardmäßig haben alle Synths eine Release-Zeit von der Länge 1. Das bedeutet, sie haben eine Dauer von 1 Schlagzeit (die in der Grundeinstellung 1 Sekunde lang ist), bevor sie verklungen sind. Über das das release-Argument der Funktion play können wir diese Dauer verändern. Damit ein Synth 2 Schläge lang spielt, übergeben wir z.B. einen release von 2:

play 60, release: 2

Mit einer sehr kurzen Release-Zeit können wir den Synth-Klang auch sehr kurz machen:

play 60, release: 0.2

Also was ist nun die Release-Zeit? Es ist die Zeit, die der Klang braucht, um von der vollen Höhe der Kurve (typischerweise der Wert 1) bis auf Null abzufallen. Das nennt man auch die Release-Phase und es ist ein linearer Übergang (d.h. eine gerade Linie). Die folgende Abbildung zeigt, wie ein solcher Übergang aussieht:

release envelope

Die senkrechte Linie ganz links im Bild zeigt, dass der Klang mit einer Amplitude von 0 startet, jedoch sofort auf die volle Höhe geht (das ist die Attack-Phase, die wir gleich ansehen werden). Wenn die volle Höhe erreicht ist, geht die Amplitude in einer geraden Linie bis auf Null zurück, wobei dies so lange dauert, wie es mit release festgelegt wurde. Je länger die Release-Zeit eines Synth, desto länger klingt dieser aus.

Deshalb kannst Du die Länge eines Klangs ändern, wenn Du seine Release-Zeit änderst. Spiele einmal mit unterschiedlichen Release-Zeiten herum.

Attack-Zeit

Standardmäßig ist die Attack-Phase für alle Synths 0, was bedeutet, dass diese sofort von der Amplitude 0 auf 1 hochgehen. Dies gibt dem Synth einen perkussiven Klang. Vielleicht möchtest Du den Klang jedoch einblenden. Dies kannst Du mit dem attack-Argument erreichen. Blende einige Klänge ein:

play 60, attack: 2
sleep 3
play 65, attack: 0.5

Du kannst mehrere Argumente zur selben Zeit anwenden. Zum Beispiel für eine kurze Attack- und eine lange Release-Zeit:

play 60, attack: 0.7, release: 4

Diese Hüllkurve mit einem kurzen Attack und langem Release sieht so aus:

attack release envelope

Natürlich kann man die Dinge auch umdrehen. Versuche einen langen Attack und einen kurzen Release:

play 60, attack: 4, release: 0.7

long attack short release envelope

Schließlich kannst Du auch einen kurzen Attack und Release für kürzere Klänge verwenden.

play 60, attack: 0.5, release: 0.5

short attack short release envelope

Sustain-Zeit

Zusätzlich zu den Attack- und Release-Zeiten kannst Du auch die Sustain-Zeit bestimmen. Das ist die Zeitdauer, die der Klang anhält, wenn er die eingestellte Lautstärke erreicht hat, also zwischen dem Attack- und dem Release-Stadium.

play 60, attack: 0.3, sustain: 1, release: 1

ASR envelope

Die Sustain-Zeit kann man gut dafür gebrauchen, um wichtige Klänge in einem Mix hervorzuheben, bevor möglicherweise der Release einsetzt. Natürlich kann man ohne weiteres sowohl den Attack als auch den Release auf 0 setzen und nur den Sustain gebrauchen. Damit bekommt man einen Klang ohne Ein- und Ausblendung. Aber vorsicht, ein Release von 0 kann Klickgeräusche in der Aufnahme verursachen. Meist ist es besser, einen geringen Wert wie z.B. 0.2 zu verwenden.

Decay-Zeit

Und schließlich, falls Du alles ganz genau beeinflussen möchtest, kannst Du noch die Decay-Zeit festlegen. Das ist eine Phase der Hüllkurve, die zwischen die Attack- und die Release-Phase passt; sie gibt die Zeit an, wo die Amplitude vom attack_level zum sustain_level hinunterfällt. Normalerweise steht das Decay-Argument auf 0, während sowohl das Attack- als auch das Sustain-Level auf 1 stehen. Damit die Decay-Zeit einen hörbaren Effekt hat, müssen Attack und Sustain also auch angegeben werden:

play 60, attack: 0.1, attack_level: 1, decay: 0.2, sustain_level: 0.4, sustain: 1, release: 0.5

ADSR envelope

ADSR-Hüllkurven

Fassen wir noch einmal zusammen: Die ADSR-Hüllkurven von Sonic Pi bestehen aus den folgenden Phasen:

  1. attack - die Zeit, welche die Amplitude von 0 bis zum attack_level benötigt,
  2. decay - die Zeit, in der die Amplitude vom attack_level zum sustain_level übergeht,
  3. sustain - die Zeit, in der sich die Amplitude auf dem sustain_level hält,
  4. release - die Zeit, welche die Amplitude vom sustain_level auf 0 bringt

Eins ist wichtig: der Klang dauert so lange wie die Summe aller Zeiten der unterschiedlichen Phasen. Deshalb hat der folgende Klang eine Dauer von 0.5 + 1 + 2 + 0.5 = 4 Schlägen:

play 60, attack: 0.5, decay: 1, sustain_level: 0.4, sustain: 2, release: 0.5

Jetzt weisst Du, wie Du Deine Klänge mit Hüllkurven verändern kannst…

  1. Der englische Begriff für Hüllkurve heißt Envelope.

    ADSR steht als Kurzform für die Begriffe Attack, Decay, Sustain und Release, die in diesem Kapitel erklärt werden.